Critical Mass als offizielle Versammlung?

Bin gerade über diesen Artikel gestolpert: In Stuttgart gilt die Critical Mass als Versammlung (via velophil). Da kann die CM in Berlin ja eigentlich regelrecht froh sein, oder?

Die CM wird dort angemeldet und von der Polizei offiziell begleitet, im Ernstfall gibt es die Chance, dass die Polizei die Verantwortung komplett übernimmt. Grund für diese Lösung sind ein paar Vorfälle Ende der 90er:

In Stuttgart kam es bei der Critical Mass allerdings immer wieder zu Konflikten mit der Polizei. Als 1999 die ersten Radfahrer zu der Ausfahrt in Stuttgart aufbrachen, wurden sie von der Polizei gestoppt und ihre Räder zeitweise konfisziert. Als sich das bei jeder Ausfahrt wiederholte, gaben sie nach einigen Monaten auf.

Das schreckt natürlich wie auch richtig im Artikel erwähnt viele Alltagsradler*innen ab, denn eigentlich möchte man bei der CM doch nur gemütlich Radfahren und nicht noch Stress mit der Polizei riskieren (von dem Stress mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen mal ganz abgesehen).

Beim ersten Lesen war ich empört über dieses Vorgehen, widerspricht es doch der Grundidee der CM. Sie verkommt dann zu einer Spaßveranstaltung, das Fahrrad als reines Freizeitobjekt, das einmal im Monat auf der Straße freidrehen darf, danach aber auch lieber wieder schnell verschwinden sollte. Das ist natürlich die Gefahr einer ständigen offiziellen Begleitung; der Kerngedanke, dass Teilnehmer*innen der CM Aufmerksamkeit für ihre eigene schlechte Situation erzeugen wollen, wird dadurch sicherlich ein Stück weit untergraben. Andererseits kann ich mich auch ein wenig in die Situation der Behörden/der Polizei hineinversetzen. Erfahrungen aus Berlin zeigen, wenn die Polizei mit der Motorradstaffel die Straßen corkt, dann richtig. Was ist, wenn doch mal ein Unfall passiert? Muss ja nicht von der CM ausgehen, was aber in so einem Fall passiert, ist nicht geklärt. Auch hat es eine ganz andere Wirkung, wenn Polizeibeamt*innen auf agressive oder aufgebrachte Autofahrer*innen einreden.

Vielleicht sind diese Maßnahmen auch ein Anzeichen dafür, dass Wünsche von Radfahrer*innen gehört und vor allem auch angenommen werden können. Sind wir Radfahrende vielleicht mittlerweile so eine große Statusgruppe geworden und haben in den letzten Monaten und Jahren einfach eine gute Lobbyarbeit geleistet? Abschließend klären kann ich das hier sicherlich nicht, aber ich möchte euch zum Diskutieren anregen!

Was haltet ihr davon?

  1. generell stimme ich dir bezüglich der positiven seiten einer anmeldung zu.
    allerdings finde ich den weg aus stuttgart voll daneben. die koop is dort
    eben nicht aus respekt und rücksicht, schlimmstenfalls fürsorge entstanden,
    sondern aus einer massiven repression durch den staat! völlig abwegig für
    mich in diesem fall „bitten“ zu gehen. von den leuten „beschützen“ lassen,
    die mich vorher drangsaliert haben? die stvo-fremden spinner um erlaubnis
    fragen? im leben nicht! benztown halt…

  2. Schaut man sich die Geschichte der CM San Francisco an (siehe u.a. Doku „we are traffic“) führte der Einsatz der Polizei dazu, dass der „Celebration-Faktor“, das freie, entspannte Fahren, stark eingeschränkt wurde.
    Dabei entstand beim normalen Bürger nicht nur der Eindruck: Oh, die brauchen Polizeibegleitung, das muss ja gefährlich sein, wenn die nicht so fahren können.
    Darüber hinaus wurde eine Distanz aufgebaut, die Nähe zwischen CM und vorher zujubelnden Zuschauern wurde stark eingeschränkt.

    Sondern auch innerhalb der CM, sodass von Leuten verhindert wurde, dass die CM losfährt, bevor die Polizei da war.
    Es kamen wengier Leute, die Teilnehmer fühlten sich nicht mehr sicher.
    Aber nicht, weil es objektiv unsicherer wurde.

    Vom Image und der medialen Berichterstattung geschah ein Wandel von: Die sind für besserer Bedingungen etc hin zu einer „die sind gegen etwas“ Stimmung…. Die CM SF musste sehr lange dagegen arbeiten (schaut man sich di CM SF heute an, und das ist weniger eines Aftermass Zustandes geschuldet), dann geht es ihr nicht gut. Es sind kleine Ausfahrten, es ist nichts mehr von der Größe und Blüte da.

    Die Konsequenzen von Polizeieinsätzen (siehe NY), aber auch in abgeschwächterweise resultieren bei CMs weltweit keineswegs in positive Effekte.
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    > Zweites Argument: Critical Mass ist eine Form, eine Initiative der Reclaim the Streets Bewegung.
    Diese, ohne jetzt Leuten die Halsschlagadern zum Pochen zu bringen, ist anarchisch aufgebaut, d.h. nicht von oben herab bestimmt.
    Es ist eine Bewegung von unten, eine Graswurzelbewegung.
    Das ist sehr wichtig, um die Diversität, Friedfertigkeit und das (kreatvie) Potential und die Möglichkeit, etwas in der Stadt zu verbessern zu ermöglichen.

    > Werden diese Grundmerkmale nicht mehr verfolgt, so darf sich eine solche „Veranstaltung“ nicht mehr Critical Mass nennen.
    Man kann etwas ja auch nicht mehr Fußball nennen, wenn nicht die üblichen Regeln gelten (zB: Der Ball muss ins Tor, man spielt mit dem Fuß).

    > Sehr zentral ist bei angemeldeten Sachen auch, neben der Kontrolle durch die Polizei, auch die festgelegte Strecke…. eine CM mit festgelegter Strecke?….

    > Neben dem Verantwortlichem muss es auch Ordner (mit Warnwesten oder Armbinden) geben….. CM ist doch hierarchielos…. auch nicht mit dem Begriff vereinbar.

    > Ein weitere fundamentaler Punkt ist die Selbstverantwortung im Handeln. „Jeder ist dafür verantwortlich, was er/sie macht“…. rechtlich gesehen trägt aber der Anmelder der Demo die Verantwortung.

    -> Wer angemeldete Fahrten fahren will, der kann im adfc-Tourenheft seines Ortsclubs schauen, oder bei einer der jährlich stattfindenden Sternfahrten mitfahren (Köln, Düsseldorf, Dortmund, Hamburg, Berlin und sonstwo)
    Dass diese Fahrten aber wenig Einfluss haben… das weiß man auch.
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    Der Effekt, solcher bürokratisch durchgeplanten, von oben herab bestimmten und angemeldeten Fahrten sieht man an den adfc Sternfahrten in Deutschland.

    Es kommen einmal im Jahr sehr viele Leute zusammen…. zum Spaß, weil es ein großes Event ist.
    Aber vielen, und mir auch, kommen diese Sternfahrten leider nurnoch als Brot und Spiele Veranstaltungen vor.
    Sternfahrten, die ich in verschiedenen Städten mitgemacht habe sind groß, und es ist toll mit so vielen Leuten zu fahren. Aber der negative Geschmack ist massiv und das liegt zum größtenteil auch am Verhalten der adfc’ler vor Ort, die einmal im Jahr Sherrif spielen dürfen und naja „gebe Menschen macht, und du erkennst ihr wahres Gesicht“, aber auch der generellen Einstellung und wofür der adfc steht.
    Blickt man nach Düsseldorf, wo einmal im Jahr die adfc Sternfahrt stattfindet und die Radlnacht, bei der es letztes Jahr übrigens eine Helmpflicht gab (!) und schaut sich an, wie es um den Radverkehr in DD gestellt ist…. da dreht man sich lieber um, und schläft noch ne Runde.
    Abgesehen davon, dass die CM darunter sehr leidet, weil den Menschen mit diesen „offiziellen“ Veranstaltungen vermittel wird, dass es dem Radverkehr ja gut ginge und alles gut sei (das ist ja Haupt-Werbemittel für Sternfahrten).
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    Es ging um CM:
    – Nein, die „Critical Mass Stuttgart“, sollte nicht als Critical Mass bezeichnet werden
    – Die Überwachung und Kontrolle über die „Critical Mass Stuttgart“ hat schlechte Auswirkungen.
    – Will man eine CM kaputtmachen und kleinhalten (siehe im Extremfall CM NY) bedarf es nur Polizeipräsenz und Kontrolle von oben

    => Es wäre fatal, sich dem „Vorbild“ der Stuttgarter Fahrraddemo, früher Critical Mass, hinzugeben.

  3. Der offizielle Charakter ist doch einfach genial!!! Also wenn wir das in Berlin so hin bekommen könnten, würde ich das begrüßen und auch dabei gerne behilflich sein.
    Aufmerksamkeit bringt das doch in jedem Fall!!!
    Ehhh – und bis dahin dann so wie jetzt 🙂
    Das Wichtigste ist doch eigentlich immer mehr Radler zu erreichen und Andere auch davon zu überzeugen, dass das Rad herrlich in den Alltag zu integrieren ist.
    Und: Mehr Rechte für Radler in Berlin!!! Ich (als auch Autofahrer) bin z.B. für ein generelles Tempolimit in B von 30kmh und die Innenstadt komplett Autofrei…

    1. Danke Mario.
      Wir hier in Stuttgart gehen zwangsläufig diesen offiziellen Weg, da uns die Behörden sonst knallhart ausbremsen. Die Einschätzung, viele Radfahrer auf der Fahrbahn seien eine politische Meinungsäußerung, sagt viel aus über das Verkehrsklima bei uns. Und diese Ansage kam ja schon, als wir noch mit zwanzig Leuten unterwegs waren. Hätten wir auf Konfrontation gesetzt (war und ist die einige Alternative), wäre unsere Bewegung niemals derart angewachsen. Es gibt in Stuttgart keinerlei Wertschätzung des Radverkehrs, und dementsprechend verkümmert ist auch die Radkultur und das Selbstbewusstsein der Radfahrer. Es gibt einfach derart viele Widerstände und infrastrukturelle Probleme, dass wir vorerst gar nix anderes tun können, als uns bestmöglich zu präsentieren: seht her, wir sind auch da. Und wir sind viele. Und wir sind bunt. Wir sind für’s Fahrrad, wir sind die allerbeste Werbung dafür. Wir sind die Critical Mass Stuttgart.
      Wir sind auf einem guten Weg.
      Grüße in meine zweite Heimat,
      Alban

      1. Nennt es doch Demo. Es CM zu nennen verwirrt nur, weil die Stuttgarter Veranstaltung eben keine ist. Eine Nabenschaltung ist halt eine Nabenschaltung und keine Kettenschaltung.

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