Gastbeitrag: Frust und Freuden

Mit Wohnmobil und Rad in Belgien und den Niederlanden unterwegs – ein Bericht aus Bewegungssicht von Nico Jungel


Umgebauter Krankenwagen, zwei Fahrräder hintendrauf. Los geht’s in Berlin, Ziel ist Boom in Belgien, ein Vorort der Stadt Antwerpen. Aber erst mal German Autobahn, mit 120 km/h rauscht der effizient genutzte Wagen, blablacar-Mitfahrer und sowieso zu siebt im Carsharing, in noch flachere und wesentlich windigere Gefilde.

Von Boom dann mit geliehenem Kleinwagen rein nach Brüssel. Der Brüsseler Verkehr erinnert an den europäischen Verwaltungsapparat: dicht und langsam. Und lückenlos. In Brüssel fährt man nicht Auto, man bewegt es von Zeit zu Zeit. Ein auffällig angezogenes Paar konnten wir nach einer Strecke von ca. fünf Kilometern wieder an unserem Auto vorbeilaufend, nein, -schlendernd!, ausfindig machen. Wir brauchen eine Stunde vom Stadtrand, bis das Auto geparkt ist.

Fahrradfahrer? Fehlanzeige. Hier und da mal wer in Signalmontur. Ein paar Tage später sitzen wir selbst auf dem Rad, und uns wird schnell klar, warum wir so ziemlich die Einzigen sind. Fahrradwege sind kaum vorhanden, zwischen und neben den Autos kommt man kaum durch, da diese selbst schon jeden halben Meter nutzen. In der Hackordnung stehen wir eindeutig unten. Dass das gesamte Stadtgebiet eigentlich Parkzone ist und somit nur Anwohnern und gebührenunempfindlichen Personen vorbehalten, bringt nichts. Es lärmt und hupt und macht überhaupt keinen Spaß, von der Stadt nehmen wir nur etwas wahr, wenn wir anhalten.

Es geht weiter nach Antwerpen. Die 16 Kilometer von Boom ins Antwerpener Zentrum führen entlang einer vierspurigen Schnellstraße, an der sich links und rechts nach amerikanischer Art Zentren für dieses und jenes abwechseln. Auf dem Gehweg gibt’s zwar ’nen Fahrradstreifen, aber holprig, voller Schlaglöcher und mit hohen Bordsteinen – Kometenflug-Feeling. Antwerpen selbst kann man durchaus ein „befriedigend“ bescheinigen. Es gibt einige Radwege, aber den Autos gibt man besser immer noch Vorfahrt …

Von dem Leihradsystem, das Räder und Stationen in Brüssel und Antwerpen zur Verfügung stellt, wird nur das Antwerpener genutzt. Brüssel hat zu viele Berge, die Räder werden vom städtischen Dienst regelmäßig mit langen Hängern wieder zu den höheren Punkten gefahren.

Aber daran kann’s nicht liegen. 150 Kilometer weiter nördlich, in Rotterdam, einer topografisch ähnlich geprägten Stadt wie Antwerpen, zeigt sich ein vollkommen anderes Bild. Wir laden den Wagen bei Freunden aus. Parken in der Stadt ist undenkbar. Neun Minuten kosten, von 7 Uhr morgens bis 23 Uhr abends, 50 Cent. Im Stadtkern gibt es eine Milieu-Zone. Große Autos und Lkw dürfen hier gar nicht erst rein. Die Botschaft: Autofahrer, du bist nicht willkommen. Wir auch nicht, deswegen raus auf einen der vielen Park&Ride-Plätze, mach’s gut Auto, bis die Tage.

Wenn wir wohin wollen, dann mit dem Rad. Unter der Maas gibt es einen Tunnel für Fahrradfahrer, wahlweise über eine Fahrradrolltreppe oder Aufzug erreichbar. Fahrradschnellstraßen führen einen zügig durch die Stadtteile, ein getrenntes Straßennetz lässt keinen Autokontakt zu. Es windet so stark, dass wir die Spur nicht halten können. Alle finden es lustig.

Wir wollen nach Amsterdam. Setzen uns aufs Rad, fahren einfach los und landen in der Fahrradtiefgarage des Rotterdamer Hauptbahnhofs. Ohne Denken. Wie intelligent kann Verkehrsführung sein?! Mit zwei Handgriffen sitzt das Fahrrad gut verstaut im zweiten Level der Parkanlage. Kurzer Fußweg, schon im Zug.

Mit der übertragbaren Abo-Karte von Freunden sind in Amsterdam zwei Leihräder fünf Minuten nach Ankunft unser eigen, und schon geht’s durch die Stadt voller Radfahrer. Der Vater eines Freundes nennt sie liebevoll „Fietsterroristen“ (ist nicht auch das niederländische Wort „fietsen“ für „Rad fahren“ viel schöner?). Als wir von der dritten weißhaarigen Oma weggeklingelt, abgedrängt und rasant überholt werden, ist uns klar, warum. Autofahrer haben hier Angst vor Radfahrern. Sie lassen dich zuerst fahren, auch wenn sie von rechts kommen und du ihnen winkst. Wow.

Wir genießen das Fietsen in Rotterdam. Wir fließen durch die Stadt, werden kaum gebremst, es gibt intelligente Ampeln, die Herankommendes erkennen und den Verkehr so günstig wie möglich regeln. Wir können unbeschwert die Stadt erkunden und die Augen hauptsächlich gen Architektur richten.

Bald geht’s zurück nach Berlin. Wie werden wir uns dort als Fahrradfahrer wohl wieder fühlen?

(( Fotos: Nico Jungel ))

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