Hej, ich bin … Malte

Malte lebt in Kiel. Der Software – Entwickler baut einiger der „Critical Mass“ Webseiten, seit er 2010 in die Fahrradwelt abtauchte. Seit 2015 lebt er ohne Auto und beschäftigt sich mit den Themen Mobilität, Verkehrswandel, Klima- und Umweltschutz, aber nun lest selbst…

Wie oft bist Du im Alltag mit dem Rad unterwegs?

Als ich noch im Hamburg gewohnt habe, war ich täglich auf dem Rad unterwegs, auch beim typischen hanseatischen Regenwetter. Gegen Regen gibt’s Regenkleidung, gegen Schnee und Eis helfen Spikereifen, irgendwie kommt man immer am Ziel an. Es ist natürlich nicht immer so ganz angenehm, aber grundsätzlich gibt’s nicht so ganz viele geilere Sachen als das Geräusch von knisternden Neuschnee unter den Reifen und Schneeflocken im Gesicht. Aus Kiel fahre ich nun täglich mit der Bahn nach Hamburg und zurück, dabei begleitet mich meistens mein blaues Brompton. Insofern fahre ich nach wie vor täglich Fahrrad, bin aber streckenmäßig von 30 Kilometern pro Tag auf zehn ziemlich abgesackt. Das muss noch besser werden.

Mit welchem Rad fährst Du am liebsten?

Naja, was heißt „am liebsten“? Am liebsten fahre ich mit meinem weißen Trenga-Trekkingrad, weil ich damit meistens aus der Stadt rausfahre und längere Touren in der Natur, abseits der ganzen Hektik unternehme. Dazu komme ich leider viel zu selten, aber meistens reicht es wenigstens einmal pro Monat für einen Gran Fondo. Am häufigsten fahre ich mit meinem blauen Brompton zum Bahnhof und zurück, das ist nunmal unheimlich praktisch und perfekt zum Pendeln, aber der Weg zur Arbeit ist naturgemäß nicht unbedingt das, was man am liebsten mit einem Fahrrad bestreitet.

Wann war Deine erste Critical Mass? Was empfandest Du dabei und wie bist Du darauf aufmerksam geworden?

Meine erste Critical Mass war am 24. Juni 2011 in Hamburg. Der Facebook-Algorithmus hat gemerkt, dass Freunde von mir dort an so einem Fahrrad-Ding mitfahren wollten und meinte, hey, komm doch mal mit, das wäre doch auch was für mich, du hast doch auch ein Fahrrad. Facebook kennt uns halt ziemlich gut.
Ich habe später rausbekommen, dass an dem Tag sozusagen die zweite Critical Mass Hamburg der Neuzeit herumgefahren ist und es war damals noch der größte Mist. Wir sind über rote Ampeln in den fließenden Querverkehr gefahren, haben uns mit Fußgängern und Autofahrern angelegt, fuhren durch Fußgängerzonen, durch den Bahnhof, entgegen enger Einbahnstraßen und gerieten schließlich noch mit der Polizei aneinander. Die Beamten riegelten damals mit Helm und Schlagstock eine Hauptverkehrsstraße ab, aber weil wir ja wendige Fahrräder hatten, sind wir einfach eine Kreuzung vorher links abgebogen. Wir fanden das damals ziemlich witzig, die Beamten leider nicht, und so gab es dann mitten auf St. Pauli ein paar unschöne Szenen.
Am Ende war ich echt stinksauer und schwor mir, nie wieder bei so einer Tour mitzufahren. Weil ich so ein konsequenter Typ bin, habe ich mir einen Tag später den Domainnamen criticalmass-hamburg.de gesichert und ein paar Fotos von der Tour hochgeladen. Und dann nahm die Sache seinen Lauf: Ich habe in den nächsten Jahren keine einzige Tour verpasst und brachte jedes Mal aberhunderte Fotos mit.

Fährst Du regelmäßig mit?

Naja, schon: Ich versuche mittlerweile jede Tour im nördlichen Niedersachen, Hamburg und Schleswig-Holstein mitzunehmen. Am Ende des Monats fahre ich entweder in Hamburg oder Kiel mit, dazwischen je nach Möglichkeit in Lüneburg, Norderstedt, Hamburg-Harburg, Hamburg-Altona, Lübeck, Flensburg und Stade.
Im letzten Sommer hatte ich noch ein paar Urlaubstage übrig und bin beinahe jeden Freitag mit der Bahn in eine andere Stadt gefahren, bis runter nach Karlsruhe und Nürnberg. Das war echt prima, ich habe viele neue Menschen kennengelernt und immer wieder gestaunt, wie unterschiedlich die Critical Mass in verschiedenen Städten abläuft, wie unterschiedlich sich das Teilnehmerfeld zusammensetzt, wie unterschiedlich die Reaktionen der übrigen Verkehrsteilnehmer sind. Mittlerweile habe ich seit 2011 an 136 Touren mitgenommen und außer dem August 2011, an dem in Hamburg keine Masse unterwegs war, keinen Monat verpasst.
Obwohl, vielleicht schon: Die erste Tour, die ich tatsächlich verpasst habe, war wohl in Berlin-Neukölln am 20. Januar — da war ich gerade an der anderen Seite der Stadt auf der Grünen Woche unterwegs.

Was ist Deine Intention an der Critical Mass teilzunehmen?

Ich fürchte, es ist so eine Art Sucht. Es bereitet mir einfach Freude, so viele Fahrräder zu sehen, es macht mir Spaß, mich mit anderen Teilnehmern auszutauschen. Und ja, irgendwo halte ich es auch für wichtig zu zeigen, dass auch im winterlichen Schneegestöber immer noch über zweihundert Radfahrer in einer Stadt herumfahren, in der man nach Meinung der Opposition nur von Mai bis September Rad fahren könne.

Gibt es auch negative Aspekte, die Du uns mitteilen möchtest?

Es gibt einige Städte, in denen die Touren einen ziemlich ausgeprägten Eventcharakter hatten, da waren einige Teilnehmer schon zu Beginn der Tour hackedicht und schmissen anderen Teilnehmern ihre leeren Bierpullen vor die Reifen. Meistens geht dann nach meinem Empfinden ziemlich schnell die ganze Tour den Bach hinunter, weil bei solchen Touren häufig größere Lücken entstehen, in denen dann Kraftfahrzeuge einfahren, denen dann wiederum nicht gerade freundlich begegnet wird und plötzlich fahren viele Teilnehmer frustriert nach Hause. Das ist echt nicht cool und hat eine ruinöse Wirkung auf andere Menschen, die ich als potenzielle Mitstreiter ansehe. Und wenn dann in der Lokalzeitung von einer Horde saufender Radfahrer berichtet wird, die marodierend durch die Stadt gezogen wäre, Puh, also darauf kann ich echt verzichten.

Wie stellst Du Dir das Radfahren in der Stadt der Zukunft vor? Was wünschst und erhoffst Du Dir hierfür?

Puh, schwierige Frage. Ich wünsche mir grundsätzlich ein geringeres Verkehrsaufkommen. Weniger Autos, die jeden Tag in die Stadt und wieder raus fahren, aber auch weniger Menschen, die aufgrund finanzieller Umstände lange Strecken von ihrem Arbeitsort nach Hause zurücklegen müssen. Weniger Waren, die mehrere Weltreisen hinter sich haben, bevor Sie bei uns auf dem Teller oder im Regel landen. Aber eben auch weniger Urlaubsreisen in die entlegensten Gegenden, in denen wir für ein paar Instagram-Momente die Umwelt schädigen. Ich halte das Fahrrad bei relativ vielen Gelegenheiten für das richtige Verkehrsmittel, wenigstens in der Stadt. Mehr Autos bekommen wir beim besten Willen nicht in unsere Städte, den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen dauert Jahrzehnte und kostet Millionen bis Milliarden — aber wenn einfach jeder, der es irgendwie mit seinem Charakter und seiner körperlichen Gesundheit vereinbaren kann, aufs Fahrrad stiege, wäre erstmal mehr Platz auf unseren Straßen für jene, die tatsächlich nicht einfach so aufs Auto verzichten können.

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