Juten Tach, ich bin … Julia

Julia, auch Jule genannt, lebt mit kurzen Unterbrechungen seit 20 Jahren in Berlin. Die Mutter von zwei Töchtern lernte im Alter von fünf Jahren das Radfahren und hat seitdem nicht mehr damit aufgehört. Momentan testet sie die Alltagstauglichkeit ihres Liegerades, aber nun lest selbst…

Wie oft bist Du im Alltag mit dem Rad unterwegs?

Faktisch immer. Ich habe zwar einen Führerschein, aber nie ein Auto besessen. Zum Laufen bin ich zu faul und die Öffentlichen sind für mich eigentlich nur in Kombination mit dem Rad denkbar. Oder samstagnachts…

Mit welchem Rad fährst Du am liebsten?

Das kommt drauf an, was ich vorhabe! Im Alltag und auf Touren bin ich meistens mit meinem grasgrünen Intec-Stahlross unterwegs. Da passen zur Not auch mal zwei Kinder drauf und zwei Einkaufstaschen dran oder es wird ein Hänger angekoppelt.
Wenn ich entspannt ankommen will, setze ich mich auf mein Liegerad. Ich habe gerade eine Halswirbel-OP hinter mir, daher teste ich, ob das eine Alternative für einen entspannten Nacken sein kann.
Wenn ich es richtig krachen lassen will, steht da noch mein Rennrad, das „kleine Schwarze“ auf der Rolle, das soll so bald es geht auch wieder an die frische Luft!

Wann war Deine erste Critical Mass? Was empfandest Du dabei und wie bist Du darauf aufmerksam geworden?

Ganz ehrlich? Meine erste Critical Mass war im Frühjahr diesen Jahres. Ich hatte die Critical Mass als internationale Bewegung (nicht nur die Berliner CM) schon seit Jahren in den sozialen Medien verfolgt, aber irgendwie hat es sich für mich hier in Berlin nie ergeben, selbst mitzufahren. Ist auch nicht so leicht, mit kleinen Kindern ist der Rhythmus eben doch ein anderer.
Im Frühjahr habe ich es dann endlich mal geschafft. Ich hab mich gefühlt wie ein Fisch im Wasser, war vollkommen in meinem Element. Endlich wieder das Surren von tausenden Reifen auf Asphalt um mich herum, freie Straßen, coole Musik, Klingeln und Lachen, Sonnenuntergänge… Tausende Leute auf Rädern. Einfach geil.

Fährst Du regelmäßig mit?

Ja, seitdem fahre ich regelmäßig mit. Hab viele Leute kennengelernt oder wiedergesehen und freue mich immer wieder riesig, sie auf der CM zu treffen.

Was ist Deine Intention an der Critical Mass teilzunehmen?

Positive Gefühle aufsaugen. Dabei sein. Es fühlt sich wirklich wie Familie an, ein safe space für mich.
Und nach außen zu zeigen: Wir sind viele. Wir sind da. Und wir sind auch mal laut. Ich finde es unheimlich wichtig, als Radelnde friedlich, aber unmissverständlich auf der Straße Präsenz zu zeigen und Raum einzunehmen.

Was ist Deiner Meinung nach besonders positiv an der Critical Mass und dadurch extra erwähnenswert?

Ich finde die CM eine charmante und faszinierende Aktionsform. Es ist eine weltweite Bewegung mit einem super inklusiven Charakter, der mensch sich einfach jederzeit anschließen kann. Ich muss immer an das uralte Lied von Element of Crime denken: „Keiner hat gerufen, und trotzdem waren alle da.“

Gibt es auch negative Aspekte, die Du uns mitteilen möchtest?

In Berlin gibt es immer wieder dieses spannende Tauziehen zwischen Anarchie und Vereinnahmung, der die CM in meinen Augen aber immer stoisch standgehalten hat. Nach jedem einzelnen Ride flammt die Diskussion wieder auf. Unsere Regeln stehen aber in der Straßenverkehrsordnung, nirgendwo sonst. Es geht schlicht darum, ein Recht auszuüben. Das sollten sich einige immer mal wieder in Erinnerung rufen, die auf die Kacke hauen wollen und auf den Schutz der Masse bauen.

Wie stellst Du Dir das Radfahren in der Stadt der Zukunft vor? Was wünschst und erhoffst Du Dir hierfür?

Das ist leicht. Ich habe radelnde Kinder. Der Maßstab für zukunftsorientierte Verkehrspolitik muss immer sein: „Würde ich mein zehnjähriges Kind dort bedenkenlos und unbegleitet Fahrrad fahren lassen?“ Das reicht als Handlungsmaßstab völlig aus, macht aber auch deutlich, was aktuell noch im Argen liegt hier in Berlin.
Ich bin sehr dankbar für die vielen Menschen, die sich in Initiativen engagieren und politischen und planerischen Einfluss nehmen, damit sich Berlin fahrradfreundlicher entwickeln kann.
Ich bin der Meinung: Fahrradpolitik ist nicht kompliziert. Unsere Anforderungen sind Peanuts gegenüber denen des motorisierten Individualverkehrs: wir sind nicht so gefährlich, nicht so dreckig, nicht so schwer und nicht so laut.
Schwierig wird es nur, wenn aus Hasenfüßigkeit Fahrradinfrastruktur immer nur um die Autos herum gedacht und realisiert wird. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

 

 

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