Sicher geradeaus?
Es tut sich was in Berlin – wenigstens auf dem Papier. Im Mai hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin unter Federführung von Projektleiter Burkhard Horn einen „Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz“ herausgegeben. Nach den vielen (schweren) Unfällen in den letzten Wochen ist eine Studie, die die Ursachen analysiert, systematisiert und Vorschläge zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation unterbreitet, zu begrüßen.
Neben einer kurzen Einschätzung des Status quo finden sich in dem Papier Empfehlungen für eine sichere Radverkehrsführung und ein ganzer Katalog an Maßnahmen, die zu einer Entschärfung der Konflikte im Kreuzungsbereich führen (könnten).
Neben guten Ansätzen gibt es natürlich auch Widersprüche, reines Wunschdenken und wieder zahlreiche Belege dafür, dass die Angst, den Kfz-Fahrern etwas wegzunehmen, groß ist. Im Falle von Sichtbehinderungen im Kreuzungsbereich würde es meist schon genügen, endlich das notorische Falschparken zu ahnden. Das wäre auch eine gute Einnahmequelle für die Bezirke.
Und dann wäre es ganz wunderbar, wenn solche Untersuchungen zukünftig in einer Sprache verfasst würden, die das Lesen etwas mehr befeuert.
Hier einige Zitate (die Fettungen sind original, die roten Markierungen von uns):
Überblick Unfallgeschehen
Insgesamt verunglückten in Deutschland im Jahre 2012 fast 75.000 Radfahrende, das sind knapp 20% aller im Straßenverkehr verunglückten Verkehrsteilnehmenden. Dabei wurden 406 Radfahrende getötet.
Die meisten Radverkehrsunfälle ereignen sich an Knotenpunkten. Entsprechend sind Unfälle beim Abbiegen und beim Einbiegen/Kreuzen die häufigsten Unfallkonstellationen, an denen Radfahrende beteiligt sind. Dabei dominieren an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage die Abbiegeunfälle deutlich.
Rechtsabbiegende Kfz sind an Abbiegeunfällen mit Radfahrenden doppelt so oft beteiligt wie linksabbiegende Kfz. Allerdings sind die Unfälle mit linksabbiegenden Fahrzeugen – vermutlich aufgrund höherer Geschwindigkeiten – im Mittel schwerer als Unfälle beim Rechtsabbiegen.
Bei weitaus den meisten Abbiegeunfällen sind Pkw die Unfallgegner des Radverkehrs.
Immerhin an rund 10 % der Radverkehrsunfälle sind Lkw und Lieferwagen beteiligt. Diese Unfälle ereignen sich meist beim Rechtsabbiegen und haben oft schwere Unfallfolgen.
Das fahrleistungsbezogene Unfallrisiko ist bei Abbiegeunfällen mit Radverkehrsbeteiligung für die Gruppe der jüngeren erwachsenen Radfahrenden besonders hoch und übertrifft noch die Gefährdung der „klassischen“ Risikogruppen der Kinder, Jugendlichen und Senioren.
Unfallverursachende Verhaltensweisen der Verkehrsteilnehmenden
– Unfälle werden in der Regel durch Fehler eines oder mehrerer Verkehrsteilnehmenden verursacht. Bei Abbiegeunfällen mit Radfahrenden werden ganz überwiegend die beteiligten Kfz-Fahrer als Hauptverursacher eingestuft. Dies gilt insbesondere auch für Unfälle mit getöteten Radfahrenden.
– Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass der Radverkehr beim Abbiegen von Kfz oft nicht ausreichend beachtet wird. So unterlässt jeder fünfte Kraftfahrer auch dann den Schulterblick, wenn sich ein Radfahrender bereits im Nahbereich des Knotenpunktes befindet. Überdurchschnittlich oft führt dieses Verhalten zu Konflikten mit dem Radverkehr.
– Auch Fehlverhaltensweisen der Radfahrenden tragen nicht selten zu Abbiegeunfällen bei. Besonders häufige unfallbegünstigende Verhaltensweisen sind das Fahren in der falschen Richtung auf einem Rad- oder Gehweg oder die Benutzung einer dafür nicht zugelassen Verkehrsfläche, z.B. eines Gehweges. Rotlichtverstöße oder mangelnde Beleuchtung sind als weitere Unfallursachen auf Seiten der Radfahrenden zu verzeichnen.
– Diese Befunde zeigen, dass einseitige Schuldzuweisungen als Erklärungsmuster für das Unfallgeschehen zu kurz greifen. Wichtig sind vielmehr Aufklärung und Information über die Gefahren, die bei bestimmten verkehrlichen Situationen und Verhaltensweisen auftreten, um das Risikobewusstsein sowohl der motorisierten wie nicht motorisierten Verkehrsteilnehmenden zu schärfen. Anzustreben ist eine gegenseitige Rücksichtnahme im Verkehr, die auch ein angemessenes Reagieren auf die Fehler anderer einbezieht. (…)
Zu berücksichtigen ist, dass zwischen Infrastruktur und Verhalten eine Wechselwirkung besteht. Begreifbar ausgebildete Knotenpunkte fördern ein situationsangepasstes Verhalten der Verkehrsteilnehmenden.
Grundanforderungen zur Sicherung des Radverkehrs gegen Abbiegeunfälle
Von herausgehobener Bedeutung für die Sicherheit des Radverkehrs ist die Gewährleistung guter Sichtbedingungen. In diesem Kontext steht bei Radverkehrsführungen im Seitenraum auch eine geringe Absetzung der Radverkehrsfurt von der Fahrbahn. Ist dies nicht zu erreichen, sollten bei nicht signalisierten Knotenpunkten Radwegüberfahrten und bei signalisierten Knoten ggf. weitergehende Maßnahmen des Signalschutzes vorgesehen werden. Grundanforderung bei Radverkehrsführungen sind im Zuge von Vorfahrtstraßen sowie generell an signalisierten Knotenpunkten auch Furtmarkierungen zur Verdeutlichung der Vorfahrt des Radverkehrs.
Generell hat die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn in Bezug auf den Konflikt mit rechtsabbiegenden Kfz Sicherheitsvorteile gegenüber den Seitenraumführungen, da hier keine Sichthemmnisse zwischen Radverkehrsführung und abbiegendem Kfz-Verkehrsstrom auftreten. Für den Schutz vor Unfällen mit rechtsabbiegenden Lkw und gegenüber linksabbiegenden Kfz reicht dies jedoch nicht aus.
Kann der Radverkehr auf der Fahrbahn fahren, ist nach der Art der Radverkehrsführung zu unterscheiden. Während für das Fahren im Mischverkehr keine spezifischen Maßnahmen für den Radverkehr vorzusehen sind, ist bei Schutz- und Radfahrstreifen die deutliche Markierung der jeweiligen Radverkehrsführung in der Knotenpunktzufahrt und im Knoteninnenbereich eine wesentliche Grundanforderung. Anforderungen bzgl. der Sicht sind hier insbesondere zur Sicherung des Radverkehrs gegenüber einbiegenden Kfz zu beachten.
Grundanforderung an signalisierten Knoten mit eigener Radverkehrsführung ist die vorgezogene Haltlinie (Regelmaß 3 m), die den Radverkehr bei Rot in das Sichtfeld des Kfz-Verkehrs bringt. An großen Knotenpunkten mit Seitenraumführung werden auch eigene Radverkehrssignale mit einem Grünvorlauf als Grundanforderung eingestuft, da hierdurch die besonderen Anforderungen des Radverkehrs gegenüber dem Kfz- bzw. dem Fußverkehr berücksichtigt werden können.
Wird der abbiegende Kfz-Verkehr in der Zufahrt eines signalisierten Knotenpunktes auf einem eigenen Fahrstreifen geführt, ermöglicht dies weitere entwurfstechnische und signaltechnische Maßnahmen der Konfliktentschärfung, die bei einem gemeinsamen Fahrstreifen für die Richtungen geradeaus/rechtsab nicht in Betracht kommen.
Ein weiterer infrastruktureller Ansatz zur Gewährleistung ausreichender Sichtbarkeit ist die Straßen-Beleuchtung. Insbesondere die Knotenpunktausfahrten mit gleichzeitigem Kfz-Verkehr, querenden Fuß- und Radverkehr sollten ausreichend ausgeleuchtet sein.
5. Verkehrsverhalten und Kommunikation
Untersuchungen zum Unfallgeschehen mit Beteiligung von Radfahrerinnen und Radfahrern zeigen, dass viele Unfälle sich nur begrenzt durch Änderungen an den Verkehrsanlagen oder den Verkehrsregelungen – also durch infrastrukturelle Maßnahmen – vermeiden lassen. Notwendig sind deshalb Information und Kommunikation als integraler Bestandteil kommunaler Verkehrssicherheitsarbeit.
Oftmals ist ein unzureichendes Risikobewusstsein der Verkehrsteilnehmenden als Ursache für Regelverstöße anzunehmen. In vielen Fällen sind zum Teil bewusste oder unbewusste Regelverstöße bei Rad- bzw. Autofahrenden Hauptursache von Unfällen mit Radverkehrsbeteiligung. Typische Regelverstöße bei den Kraftfahrenden sind z.B.:
– die Übertretung der Höchstgeschwindigkeit,
– der fehlender Schulterblick beim Abbiegen,
– Verstöße im ruhenden Kfz-Verkehr, in deren Folge es an Knotenpunkten und Einmündungen nicht selten zu unzureichenden Sichtbeziehungen kommt.
Bei den Radfahrenden sind die linksseitige Radwegbenutzung und die Rotlichtmissachtung als Beispiel für regelmäßig zu beobachtendes Fehlverhalten zu nennen.
Eine Vermeidung daraus resultierender Unfälle ist nur über verändertes Risikobewusstsein und als Folge hiervon veränderter Verhaltensweisen zu erreichen. Hierzu können öffentlichkeitswirksame Maßnahmen beitragen. Ziel ist, in der Öffentlichkeit und speziell bei Rad- und Autofahrenden einen hohen Aufmerksamkeitsgrad zu erreichen, so dass das Thema Radfahrsicherheit an Präsenz gewinnt und das Risikobewusstsein wächst.
(Quelle: Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz, hg. v. der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, Projektleitung Burkhard Horn, Mai 2015)
An diese simple Lösung hat in der Senatsverwaltung offenbar keiner gedacht:
http://www.aviewfromthecyclepath.com/2014/05/the-best-traffic-light-solution-for.html
Das Problem bei gleichzeitigem Grün in alle Richtungen sind die sehr langen Wartezeiten für die jeweils anderen VerkehrsteilnehmerInnen. Bietet sich meines Erachtens vor allem an großen, viel und von großen und schweren Fahrzeugen befahrenen Kreuzungen an. Bei normalen Anwohnerstraßen würde ich Tempo 20 bis 30 favorisieren und alle Ampelanlagen abschaffen – die einfache Regel rechts vor links führt zur Geschwindigkeitsreduktion vor der Kreuzung und dazu, dass VerkehrsteilnehmerInnen aufeinander achten (müssen). Das Durchbrettern, nur weil man Grün hat, das ich in Deutschland so oft – im Unterschied zu anderen Ländern – beobachte, fiele dann weg. Interessanterweise sind ja Kreuzungen mit Signalanlagen unsicherer als welche ohne. Es kommt dort öfter zu Unfällen, und diese sind schwerer. Das betrifft nicht nur Radfahrer vs. Kfz, sondern auch Kfz untereinander. Die sicherste Lösung wären freie Sicht an den Kreuzungen (in Dänemark sind 10 Meter frei zu halten!) und eine Regelgeschwindigkeit von maximal 30 km/h innerorts.