The Human Scale – Städte für Menschen

Jan Gehls Stadtplanungsklassiker samt Werkzeugbox gibt es jetzt auch auf Deutsch

(Foto: Buchcover, Jovis-Verlag)
(Foto: Buchcover, Jovis-Verlag)

Im Frühjahr ist die „Bibel“ des Kopenhagener Architekten und Stadtplaners Jan Gehl, der maßgeblich für die paradiesischen Zustände für Radfahrer in Kopenhagen gesorgt hat, endlich auch auf Deutsch erschienen: „Städte für Menschen“.

Seit mehr als 40 Jahren befasst sich Jan Gehl damit, Städte weiterzuentwickeln oder umzugestalten. Durch langjährige detaillierte Untersuchungen von Großstadtsituationen in verschiedenen Ländern hat er Erkenntnisse gewonnen, die es ihm erlauben, in dysfunktionale und unwirtliche Stadtlandschaften so einzugreifen, dass sie sich für ihre Bewohner entscheidend zum Positiven hin verändern. Dabei bezieht er demografische Entwicklungen und sich wandelnde Lebensstile ebenso ein wie gestalterische Prozesse. Jan Gehls wichtigster Grundsatz ist das menschliche Maß (The Human Scale – so heißt auch ein Film, der seine Arbeitsmethode sehr gut darstellt).

Stadtplanung nach menschlichem Maß bedeutet: Der Stadtraum muss in Planungsschritt eins mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers erlebt werden statt aus einem Fahrzeug heraus. Denn unser Wahrnehmungs- und Sinnesapparat, unser Wohlbefinden, unsere Interaktion und Kommunikation sind nach der uns allen gemeinsamen anthropologischen Konstante des Zu-Fuß-Gehens ausgerichtet, sie ist die uns mitgegebene natürliche Fortbewegungsart. Nur wenn sie die Basis von Stadtplanung und -entwicklung ist, kann es gelingen, sowohl traditionelle westliche Metropolen wie die schnell wachsenden Städte in Entwicklungs- und Schwellenländern zu „Städten für Menschen“ zu machen. Das heißt zu Orten, an denen Menschen sich wohl fühlen, wo sie gesund und sicher leben können und der öffentliche Raum nach ihren Bedürfnissen gestaltet ist.

Als Kopenhagener hat Jan Gehl natürlich auch ein paar Seiten im Buch explizit für den Radverkehr reserviert. Dieser ist ihm „eine erweiterte, schnellere Form des Fußgängerverkehrs“. Radfahrer sind ebenso behende, flexibel, Witterung und Sozialkontakten „ausgesetzt“ wie Fußgänger, und sie brauchen ebenso wenig komplizierte Verkehrsregeln und -anlagen. Das alles gibt es nur wegen der Fahrzeuge, die mit Karosserien gepanzert sind und sich mit hohem Tempo bewegen und in dieser Bewegung sich selbst und andere massiv gefährden. Städte, die gut für Fußgänger sind, sind in Gehls Augen auch gut für Radfahrer und umgekehrt.

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Ganz so einfach ist es dann allerdings doch nicht, und das zeigt Jan Gehl auch auf den folgenden 13 Seiten. Da plädiert er eindeutig für eine je eigene Infrastruktur für Fußgänger, Radfahrer und motorisierten Verkehr, mit intelligenten Lösungen an Schnitt- und Kreuzungspunkten, um Kollisionskonflikte zu vermeiden. Den „schwächeren“ Verkehrsteilnehmern muss dabei Priorität eingeräumt werden, nur dann sind sie geschützt und fühlen sich sicher. Dazu gehört auch, dass sie ausreichend Platz haben.

Es ist wichtig, dass Radfahrer genug Platz haben, damit sie nicht bedrängt werden oder selbst andere bedrängen. In Kopenhagen variieren die Radwege in der Breite zwischen 1,7 und vier Metern, wobei die empfohlene Mindestbreite 2,5 Meter beträgt.

Bei solchen Angeboten, zu denen noch grüne Wellen an Kreuzungen und eine Wegführung ohne Bordsteinkanten, natürlich eine gute Beleuchtung und das unverzügliche Schneeräumen im Winter gehören, ist es nicht erstaunlich, dass in Kopenhagen die „kritische Masse“ im Alltag lange erreicht ist – die Zahl der Radfahrer aber ist einer der wichtigsten Faktoren für objektiv gegebene wie subjektiv empfundene Sicherheit. Und damit noch mehr Radverkehr. Denn nur wenn der Verkehr nicht nach dem Prinzip der Verdrängung des Schwächeren durch den Stärkeren organisiert ist, sitzen auch Kinder, Senioren, Schwangere und Ungeübte auf dem Sattel.

Der Umfang des Fahrradverkehrs gehört zu den entscheidenden Sicherheitsfaktoren für Radwegenetze. Je mehr Radfahrer unterwegs sind, desto stärker müssen Autofahrer auf die Radfahrer achten und sie als Teilnehmer im Straßenverkehr akzeptieren. Wenn das Fahrradverkehrsaufkommen eine „kritische Masse“ erreicht, wirkt sich das positiv auf die Sicherheit jedes einzelnen Radfahrers aus.

Jan Gehl: „Städte für Menschen“, Jovis-Verlag, 303 Seiten, 32 Euro

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