Wer mehr Radverkehr will, muss deutlich sagen, dass er einen Gegner hat: das Auto

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Es wird diskutiert. Im adfc, mit dem adfc. Darüber freuen wir uns.
Denn wir brauchen mehr Öffentlichkeit. Eine Diskussion darüber, wie wir leben wollen. In den Städten und auf dem Land.

(Dass hier auf dem Blog eher aus einer großstädtischen Perspektive, und zwar der Berliner, geschrieben wird, ist klar und keine Arroganz, es ist der Blog der CM Berlin. Hier kennen wir uns am besten aus, sehen die Fortschritte und wissen um die vielen, vielen Probleme. Das bitte beim Weiterlesen im Kopf behalten.)

Der größte Fortschritt, den der Radverkehr in den letzten Jahren gemacht hat, ist seine Zunahme am Gesamtverkehrsaufkommen. Für Berlin bedeutet das: Ohne dass die Stadt sonderlich viel unternommen hätte, sei es bei der Finanzierung, der Bildung oder gar einem Nachdenken darüber, wie Berlin wirklich eine Fahrradstadt werden könnte, fahren immer mehr Menschen Rad. Das ist erstaunlich, denn es wird ihnen nicht gerade leicht gemacht.

Sie tun es trotzdem. Und zwar nicht, weil es gesund, ökologisch und ressourcenschonend ist – sondern weil Radfahren billig ist und man auf dem Rad am schnellsten vorankommt. Und weil es Spaß macht. Sogar bei solchem Wetter wie gerade: Mordswind und Schneeregen. Wer da in seinen klatschnassen Klamotten nicht in die Kapuze lacht und, während die Finger wieder auftauen, seine Lebendigkeit spürt …

Die spürt man auch, als etwas sehr Kostbares, wenn einem mal wieder die Vorfahrt genommen wurde. Von den Verkehrsteilnehmern, die die Radfahrer*innen am meisten behindern, bedrohen, verletzen, töten: den Autofahrer*innen. Aber wer so spricht, wer klar sagt, wer der Hauptgegner des Radverkehrs ist, macht sich gegenüber Politik und Verwaltung lächerlich und kann unmöglich ernst genommen werden.

Er/Sie wird allerdings ernst genommen von den Mitgliedern des adfc, vor allem den weiblichen. Die versuchen ihren Alltag, mit Kindern und Einkäufen, zur Arbeit, zum Arzt und ins Kino, auf dem Fahrrad zu bewältigen. Und die Angst haben. Und eine große Vision: autofreie Straßen und Schulwege, eine weitgehend vom motorisierten Verkehr befreite Stadt.

Dagegen klingt die große Vision des adfc doch seltsam verdruckst:

Wir haben eine Vision: Im Jahr 2025 erreichen die Menschen ihre Zielorte schnell, kostengünstig, umweltfreundlich und unter komfortablen Bedingungen. Damit das Realität wird, setzen wir uns für die Entwicklung eines Verkehrssystems ein, das auf Nähe und intelligente Verbindung verschiedener Verkehrsmittel baut. Und in dessen Mittelpunkt das Fahrrad steht.

Warum so dreimal ums Haus und dann noch nicht mal richtig zur Tür herein?
Der erste Satz könnte auch von einem Lobbyisten für E-Autos sein. Unter komfortabel stellt man sich eher beheizte Polstersessel vor als einen Fahrradsattel bei zwanzig Grad unter null. Der Begriff „sicher“ fällt nicht.
Der zweite Satz weckt die Befürchtung, auch die nächsten hundert Jahre werde Siemens „intelligente“ Ampelsysteme bauen, bei denen Fußgänger*innen und Radfahrer*innen auf ein Knöpfchen drücken und zuschauen dürfen, wie es NICHT grün wird für sie, während Auto um Auto vorbeirollt.
Und im dritten Satz „steht“ das Fahrrad.
Schade.

Wir würden uns gern auf ihm in Bewegung setzen. Möglichst sicher und dadurch angstfrei. Dazu müssen Zahl und Geschwindigkeit von Autos reduziert werden. Dazu müssen Ampeln und Verkehrsschilder abgebaut werden – denn wir sind Menschen, wir können kommunizieren. Dazu muss klar gesagt werden: Der öffentliche Raum ist nur einmal da. Er kann nicht vermehrt werden. D.h., da, wo ein Auto fährt, fährt kein Radfahrer. Da, wo ein Auto parkt, kann eine Fußgängerin die Straße weder einsehen noch überqueren. Autofahrer*innen beanspruchen für ihre privaten Mobilitätsinteressen in hohem Maß ein sehr kostbares Gut – den öffentlichen Raum (in Berlin: 58% des Straßenraums). Innovation setzt Exnovation voraus: Das Auto muss ausgeführt werden, will man das Fahrrad einführen.

Wir sind übrigens NICHT

der Meinung, dass die Verkehrspolitik die Rahmenbedingungen und Förderinstrumente schaffen muss, damit das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel allgemein akzeptiert wird und von allen genutzt werden kann.

Wir sind der Meinung, dass wir das selbst tun müssen. Jede/r Einzelne von uns und alle zusammen. Deshalb gibt es jeden letzten Freitag eine Critical Mass. Die nächste am 26.12. – für alle, die unterm Weihnachtsbaum ein schönes neues altes Rad gefunden haben …

(Die Zitate stammen aus dem „Verkehrspolitischen Programm des adfc“, das 2013 einstimmig auf der Bundeshauptversammlung beschlossen wurde.)

(Foto via: http://www.prenzlberger-stimme.de/?p=13287)

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