Juten Tach, ich bin … Christoph
Christoph wuchs in Köpenick auf. Im Alter von 17 Jahren zog es ihn in den Prenzlauer Berg, wo er immer noch lebt. Der 49-Jährige macht gerne Musik, liest viel, verständlich wenn man sich beruflich um die Logistik einer Buchhandlung kümmert, und verbringt gerne Zeit mit seiner Familie und seinen Freunden, aber nun lest selbst…
Wie oft bist Du im Alltag mit dem Rad unterwegs?
Immer und ständig. Ich fahre eigentlich jeden Weg mit meinem Rad. Nur bei Glatteis oder strömendem Regen fahre ich mit den Öffentlichen. Meine Regel ist immer: schaffste einen Weg trocken, machste den ganzen Tag mit dem Rad.
Mit welchem Rad fährst Du am liebsten?
Ich besitze privat nur ein Rad, ein Diamant Pacer. Ein stinknormales Trekkingrad, aber es ist dunkelgrün!!! Ich fahre sehr gern auf diesem Rad. Es ist schnell und wendig und hat mich nie im Stich gelassen, es gehört zu mir. Mein kleinster Sohn ist mit drauf gefahren, ich hab es aus Versehen sogar mal eine Nacht unabgeschlossen vor einer Kneipe stehen lassen und am nächsten Morgen guckte es mich noch freundlich an – was für ein Rad!
Vor kurzer Zeit haben wir auf der Arbeit ein Cargo-Bike angeschafft. Wir gehören zu den wenigen, die die Senatsförderung bekommen haben. Es ist ein Douze G4, mit dem bin ich auch sehr gern unterwegs. Was für ein Luxusteil! Es ist das erste Mal, daß ich erlebe, daß mein Rad neidvolle Blicke bekommt.
Wann war Deine erste Critical Mass? Was empfandest Du dabei und wie bist Du darauf aufmerksam geworden?
2013, im Sommer. Ich bin über CM-Aufkleber auf meinem Weg nach Moabit aufmerksam geworden. Vorher hatte ich irgendwie schon mal davon gehört, aber die Sache nicht verfolgt.
Ich fuhr an einem Juli-Abend also von Moabit an den Heinrichplatz, erst mal allein, eher so abwartend. Schon auf der Oranienstrasse hatten viele das selbe Ziel, und der Anblick am Heinrichplatz war großartig. Ich hatte noch nie so viele Räder und FahrerInnen auf der Straße gesehen. Bis zum Mariannenplatz war alles voll. Ich genoß das sehr, ich mochte die Atmo, die Leute, die Stimmung. Als wir dann losfuhren, war das für mich ein großes Erlebnis: die Straße gehört ja uns! Gerade fast unpassierbare, gefährliche Straßen, durch die ich nie gern fuhr – an diesem Abend verwandelten sie sich in Oasen.
Es war Liebe auf den ersten Blick!
Fährst Du regelmäßig mit?
Ja. So oft es geht – manchmal hab ich was anderes vor, manchmal funktioniert es nicht, aber wenn ich irgend kann, fahre ich mit. Alleine oder mit Freunden oder meinen Kindern.
Was ist Deine Intention an der Critical Mass teilzunehmen?
Es ist ein Abend im Monat, an dem wir Radfahrende auf uns aufmerksam machen können und den Platz in der Stadt einnehmen, den wir sonst nie haben. Die Stadt merkt einfach, daß wir da sind. Das ist mir sehr wichtig. Auf der anderen Seite – und das ist genauso wichtig – ist die CM schon so etwas wie eine Party. Eine Party, bei der man aber auch fast meditativ mitfahren kann: weiter weg von den Soundbikes ist es oft eher ruhig, wir gleiten (meist) unbedrängt durch die Straßen und – es ist oft eine Chance, Ecken von Berlin wiederzusehen oder zu entdecken, die ich lange nicht sah. Bei einer CM habe ich viel mehr Zeit, mich umzusehen und Berlin wahrzunehmen, als sonst im normalen Verkehr.
Was ist Deiner Meinung nach besonders positiv an der Critical Mass und dadurch extra erwähnenswert?
Es ist einfach herrlich, mit der Masse gemeinsam durch die Stadt zu rollen. Unvergesslich die Fahrt in den Vollmond in einer Sommernacht 2015 nach Spandau, vielleicht meine schönste CM.
Gibt es auch negative Aspekte, die Du uns mitteilen möchtest?
Das einzige, was mir fehlt, ist ein Klassik- oder Jazzsoundbike. Ich weiß, die Antwort lautet immer: mach doch selbst. Kann ich nicht, werd ich nie können. Die Hoffnung bleibt, daß es z.B. Mozart-Aficionados auch nicht mehr aushalten, ohne die Jupiter-Sinfonie zu fahren. Oder John Coltrane! Das wär mal dran.
Glasflaschen gehören einfach an den Straßenrand – Bürgersteigfahren bei ner CM ist doof.
Wie stellst Du Dir das Radfahren in der Stadt der Zukunft vor? Was wünschst und erhoffst Du Dir hierfür?
Ganz zuerst wünsche ich mir, daß es keine toten Radfahrenden mehr gibt. Ich war bei einigen Mahnwachen nach Todesfällen dabei, v.a. die am Brunsbüttler Damm im letzten Sommer war unendlich traurig und was da passiert ist, macht mich heute noch wütend. Natürlich ist das ein frommer Wunsch – an sich habe ich keine großen Erwartungen, daß die großen Ziele aus dem Mobilitätstgesetz umgesetzt werden. Sowas dauert in Berlin 25 Jahre und wird ohnehin völlig verwässert werden.
Es müßte so umfassend mit Bußgeldern gearbeitet werden für zu enges Überholen, Falschparken auf Radwegen, fehlenden Schulterblick – ob das mal kommt? Es müßte so wahnsinnig viel gebaut werden, weil es fast überall zu eng für Radfahrende ist.
Ich wünsche mir und uns allen also v.a. erst mal Geduld und trotz Ernüchterung einen langen Atem.
Ich wünsche mir von uns Radfahrenden auch mehr Bewußtsein dafür, daß es neben uns noch „schwächere“ Menschen auf den Straßen gibt, die dort genauso hingehören wie wir: Fussgänger, v.a. alte Leute, Kinder.
Das kommt mir manchmal ein bißchen zu kurz oder es wird einfach auf das Recht des Stärkeren gesetzt. Mein Wunsch ist, daß uns allen immer klar wird: jede/r, der nicht im Auto sitzt, ist Teil der Masse, die die Stadt leiser, lebenswerter und gesünder macht.
Der Fussgänger ist Dein Kumpel!
Damit der Spaß an der Sache und manchmal auch am Radfahren nicht verlorengeht, ist so eine CM das Beste, um den Kopf frei zu kriegen.