Jubiläum: 10 Jahre “The High Cost of Free Parking”

Vor zehn Jahren erschien in der Planners Press, Chicago, ein 700-Seiten-Buch mit dem Titel “The High Cost of Free Parking”. Autor war Donald Shoup, Professor für Stadtentwicklung an der University of California, L. A., und Direktor des dortigen Instituts für Verkehrswissenschaften.

Donald Shoup auf einem Vélib-Leihrad in Paris, Foto via http://shoup.bol.ucla.edu/

In den USA verbrauchen Parkplätze und -buchten eine Fläche in der Größe des Bundesstaates Connecticut. Bei einer globalen privaten Automobilquote, die mit der in den USA vergleichbar wäre, und einer ähnlichen Praxis, die der Logik “ein Fahrzeug = eine Parkbucht im öffentlichen Straßenraum” folgt, wäre, um alle Autos abstellen zu können, eine Fläche in der Größe von England notwendig.

Shoup zeigt in seinem Buch, das zu den Klassikern in der Stadtentwickler-Szene gehört, dass das Überangebot an kostenlosem Parkraum eine gigantische öffentliche Subvention darstellt, die das Autofahren gegenüber alternativen Mobilitätsformen (Gehen, Radfahren, ÖPNV) extrem bevorteilt. In riesigem Ausmaß werden öffentliche Ressourcen (Straßenraum, Land, Luft) privatisiert und sind nicht oder nur noch eingeschränkt durch andere Akteure nutzbar. Durch die Privatisierung treten selbstverstärkende Mechanismen auf, die rasch zu einer Übernutzung der Ressourcen führen. Städtische Infrastrukturen werden nicht mehr für die Bewohner, sondern für Autos gebaut. Der private Autoverkehr beansprucht das Common Good Straßenraum so stark, dass er andere Gruppen in ihrer Mobilität nicht nur einschränkt, sondern physisch gefährdet.

Das kostenlose Parken hat, so Shoup, eine immer größere Autoabhängigkeit und Zerstörung alternativer Transportsysteme zur Folge, treibt das Auswuchern der Städte in Peripherie und Suburbs voran, führt zu Energieverschwendung (amerikanische Autofahrer verbrauchen ein Achtel der weltweiten Erdölproduktion), entstellt die über Jahrhunderte gewachsene Physis der Städte und vermindert deren Vielfalt und Lebensqualität.

So müsste es nicht sein. Shoup schlägt eine Reihe von einfach umzusetzenden Maßnahmen vor, mit deren Hilfe das Parken reguliert und reduziert werden kann: durch Gebühren, die dem Parken einen Preis zuordnen und einen Markt schaffen, auf dem das Parken nach Angebot und Nachfrage gehandelt werden kann; eine Verknappung des Angebots durch Neuverteilung des Straßenraums an andere Nutzer und Nutzungsarten, die aus den Gebühren finanziert werden; durch den Rückbau von Off-street-Parkplätzen.

In diesem kleinen Film bekommt man einen ganz guten Eindruck von seinen Ideen und davon, wie Verkehr in einer Stadt ohne zugeparkte Straßenränder aussehen könnte:

Falschparken in Deutschland – der Status Quo

Folge 1: Berlin-Moabit, Berlin-Mitte und Berlin-PB, 22.12.2014, zwischen 12 und 14 Uhr:

Wir würden gern eine kleine Serie starten, mit Fotos von unseren schönen Straßen, Kreuzungen und Plätzen voller (falschparkender) Pkw und Lkw. Wer Lust hat, schicke Bilder an: kontakt@criticalmass-berlin.org.
Nicht nur aus Berlin, sondern aus allen deutschen Städten und Gemeinden.
Ein Status-Quo-Bilderbogen.

Wer mehr Radverkehr will, muss deutlich sagen, dass er einen Gegner hat: das Auto

Es wird diskutiert. Im adfc, mit dem adfc. Darüber freuen wir uns.
Denn wir brauchen mehr Öffentlichkeit. Eine Diskussion darüber, wie wir leben wollen. In den Städten und auf dem Land.

(Dass hier auf dem Blog eher aus einer großstädtischen Perspektive, und zwar der Berliner, geschrieben wird, ist klar und keine Arroganz, es ist der Blog der CM Berlin. Hier kennen wir uns am besten aus, sehen die Fortschritte und wissen um die vielen, vielen Probleme. Das bitte beim Weiterlesen im Kopf behalten.)

Der größte Fortschritt, den der Radverkehr in den letzten Jahren gemacht hat, ist seine Zunahme am Gesamtverkehrsaufkommen. Für Berlin bedeutet das: Ohne dass die Stadt sonderlich viel unternommen hätte, sei es bei der Finanzierung, der Bildung oder gar einem Nachdenken darüber, wie Berlin wirklich eine Fahrradstadt werden könnte, fahren immer mehr Menschen Rad. Das ist erstaunlich, denn es wird ihnen nicht gerade leicht gemacht.

Sie tun es trotzdem. Und zwar nicht, weil es gesund, ökologisch und ressourcenschonend ist – sondern weil Radfahren billig ist und man auf dem Rad am schnellsten vorankommt. Und weil es Spaß macht. Sogar bei solchem Wetter wie gerade: Mordswind und Schneeregen. Wer da in seinen klatschnassen Klamotten nicht in die Kapuze lacht und, während die Finger wieder auftauen, seine Lebendigkeit spürt …

Die spürt man auch, als etwas sehr Kostbares, wenn einem mal wieder die Vorfahrt genommen wurde. Von den Verkehrsteilnehmern, die die Radfahrer*innen am meisten behindern, bedrohen, verletzen, töten: den Autofahrer*innen. Aber wer so spricht, wer klar sagt, wer der Hauptgegner des Radverkehrs ist, macht sich gegenüber Politik und Verwaltung lächerlich und kann unmöglich ernst genommen werden.

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Der adfc und die Petition gegen Falschparken: Warum wir starke Forderungen brauchen

Die von der Initiative für clevere Städte initiierte Petition “Machen Sie das Zuparken teurer, Herr Verkehrsminister!” sorgt im Interessenverband der Radfahrerinnen und Radfahrer, dem adfc, für lebhafte Diskussionen.
Nachdem der Bundesvorstand in einem intern verschickten Newsletter gegen die Unterstützung der Petition Stellung bezogen hat, diskutieren jetzt die Landes- und Kreisverbände über das Thema. Einige unterstützen die Petition, andere haben keine offizielle Verlautbarung, wieder andere haben sich gegen das Unterzeichnen der Petition ausgeprochen.

Ein Argument, dem man beim adfc häufig begegnet, ist: Das lässt sich politisch nicht durchsetzen, wenn wir das fordern, werden wir von Bundespolitik, Landespolitik, Kommunalpolitik nicht ernst genommen. Viele Mitglieder sind über diese Haltung frustriert. Sie wünschen sich mehr Biss, mehr eigene, klar formulierte Forderungen, Aktionen, die auf Missstände hindeuten. Und vielleicht auch: die große Vision! Nicht das Ausmessen von Radwegebreiten und Schlaglöchern, sondern ein selbstbewusstes Campaigning für die Rechte und den Schutz von Radfahrer*innen (und Fußgänger*innen). Bei Diskussionen, die ich mit vielen adfclern geführt habe, war die Hauptforderung klar: mehr Sicherheit beim Alltagsradeln => d.h. Tempo 20-30 als Regelgeschwindigkeit in Städten, autofreie Schulwege, sichere Abstellplätze für Fahrräder, Abbau von Ampelanlagen etc. zugunsten von Shared Space und Kreiseln, SUV-Verbot in Innenstädten, Pendlermaut, hohe Bußgelder für Gefährdung von nicht durch Karosserien geschützte Verkehrsteilnehmer*innen, gewinnbringende, wenigstens kostendeckende Parkraumbewirtschaftung. Und: weniger Autos, weniger Autos, weniger Autos.

Warum knickt der Verein, der 140.000 Mitglieder hat und jedes Jahr die – nach Selbstauskunft – größte Fahrraddemo der Welt auf die Räder bringt, dermaßen ein, wenn es um Haltung gegenüber einer autoverrückten Politik geht?
Die Menschen in den Städten, in denen ein Drittel (Nürnberg) bis die Hälfte (Berlin) aller Haushalte KEIN Auto hat, wollen anders leben – ohne zugeparkte Plätze und Straßen, ohne Emissionen, klimaschädliche Abgase, Lärm und die beständige physische Bedrohung, die von stehenden wie fahrenden Fahrzeugen ausgeht. Denn ja, auch parkende Pkw besetzen nicht nur unverhältnismäßig viel öffentlichen Raum, der anders, besser genutzt werden könnte, sondern sind gefährliche Sicht-und Bewegungshindernisse.
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Night-Ride in Prag

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Prags Großbauprojekt heißt Blanka. Der längste innerstädtische Straßentunnel Europas soll die völlig verstopfte Prager Innenstadt vom Verkehr entlasten – seit 2007 wird gebaut, in Betrieb genommen werden sollte der Komplex bereits 2011. Doch seit Jahren warten die Prager Autofahrer*innen auf die Eröffnung. Die Bürgermeister kommen und gehen, die Firmen und Rechtsanwälte verdienen, inzwischen traut sich niemand mehr, auch nur einen Termin für die Eröffnung zu nennen. Und Verkehrsexperten zweifeln, ob der Tunnel überhaupt den gewünschten Effekt haben und nicht noch mehr Verkehr verursachen wird.

Blanka ist also das Schönefeld Prags – die Probleme ganz ähnliche: Beleuchtung, Lüftungsanlage und elektronische Steuerzentrale im Dauertest. Die ursprünglich angesetzten 21 Milliarden Kronen (ca. 765 Millionen Euro) für den Bau haben sich inzwischen auf rund 37 Milliarden Kronen (ca. 1,35 Milliarden Euro) fast verdoppelt.

Eigentlich schade, dass mehr als 6 Kilometer asphaltierte mehrspurige Superstraße, beleuchtet und überdacht, so ungenutzt sind, dachten sich da einige Prager Fahrradaktivist*innen – und machten sich an einem Abend Ende November auf – der Namenstag von Blanka (2.12.) stand kurz bevor! -, um den Tunnel mal auszuprobieren.

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Martin Kontra vom BAJKAZYL, seine Söhne Nikola (Niki) und Andrej (dessen Idee das Ganze war), außerdem Eliška, Jára, Urna und Teo. Das sind: 2 Skateboards, 2 Single Speeds, ein Straßenrad, ein MTB und ein Fixie.
Autotunnel üben ja auch in Berlin eine gewisse Faszination und Anziehungskraft auf Radfahrer*innen aus. Die, die bei der CM schon länger dabei sind, kennen das nervenkitzelnde Spiel um den Tiergarten-Tunnel. Der ist allerdings befahren, was die Sache durch die ungewarnt reinbrausenden Autos ziemlich gefährlich macht. Aber ein LEERER Tunnel?

Erster Check – Tunneleinfahrt auf Höhe des Sparta-Stadions. Im Wachhäuschen ein Typ vor der Glotze, daneben ein geparktes Auto. Kurze Absprache unterhalb der Kamera, dann fahren wir weiter. Wir wissen von einigen Leuten, die schon auf Longboards durchgefahren sind, dass einige von ihnen Strafe zahlen mussten. In der Theorie sah alles sehr einfach aus, jetzt dagegen müssen wir unsere großen Räder an Wachmann, Licht und Zaun vorbeibekommen – kein Spaß!
Das Einzige, worauf man sich verlassen kann, ist die Unaufmerksamkeit der Wachmannschaft. Wir suchen weiter. Die Einfahrt unterhalb der Prasny-Brücke sieht vielversprechender aus. Kein Auto, im Häuschen eine angenehm wirkende junge Frau, die Kamera nimmt nur den Tunneleingang auf. Wir gehen seitlich am Zaun entlang, Richtung Tunneleinfahrt, suchen uns eine Stelle mit einem Höhenunterschied von ca. 2 Metern über der Fahrbahn. Hier sind zwei Zäune.
Die Zäune mit ein paar Longboards auf dem Rücken zu überwinden ist ein Kinderspiel gegen das Drüberwuchten der Räder, vor allem wenn so ein hyperschwerer alter Stahlrahmenkoloss dabei ist.

Aber sie schaffen’s. Werfen die Räder über die Zäune, klettern selbst hinterher, dann kurzes Warten, ob sich im Wachhäuschen was regt. Nichts. Die junge Frau schaut weiter Fernsehen, für sie ist dank der riesigen Werbetafel vorm Fenster nichts zu sehen. Und die Kamera überwacht die andere Straßenseite, das Chaos dort lenkt vom Chaos direkt vor ihrer Nase ab.

Also alles perfekt, es gibt keinen Grund, länger zu warten. Jára gibt den Befehl, es geht los.
Der Plan: unauffällig den Tunnel infiltrieren.

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Jára und Kontra springen von der Betonmauer auf den Asphalt. Die anderen reichen ihnen die Räder runter. Dann springt auch der zehnjährige Niki mutig in den zwei Meter tiefen Abgrund, der Rest hinterher – in weniger als einer Minute sind alle auf der Fahrbahn.

Jára zischt als Erster los, der Adrenalinspiegel steigt. Der dritte Zaun lässt sich einfach umfahren, sie ziehen links an ihm vorbei in den Tunnel. Durch das leichte Gefälle vom Stadtteil Letna nach Troja nehmen sie schnell Fahrt auf. Räder und Boards beschleunigen.

Andrej und Teo nehmen den Tunnel mit maximaler Eleganz in Angriff, Niki fährt freihändig, merkt erst jetzt, dass er den Helm vergessen hat. Urna holt den Fotoapparat raus, Jára fährt Slalom, Kontra versucht dasselbe freihändig, Eliška ist begeistert, alle bester Stimmung.
Kein Wachschutz, kein Einsatzfahrzeug … von der Tunneldecke wunderbares gelbes Licht, alles ganz neu, die roten Ampellichter leuchten. Und unter uns der Sound des Gummis.

Nach einigen weiteren 100 Metern geht es schon wieder bergauf. Die Moldau ist unterquert, und sie befinden sich wieder oberhalb des Wasserspiegels, jetzt geht es rauf nach Troja. Die letzten 100 Meter werden richtig steil, Jára und Kontra spielen Lokomotive, ziehen Teo und Andrej auf ihren ziemlich lahmen Brettern den Hügel rauf.

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Der letzte Zaun kommt näher, aber kein Wachmann, keine Kamera, nichts. Völlig ungestört werfen sie die Räder und Boards über den Zaun, springen hinterher. Und da ist schon der Mond, leuchtend gelb am nachtschwarzen eisklaren Winterhimmel.

Große Freude … Über uns strahlt die neue Troja-Brücke, die Wolken hängen tief, überall Lichter … und zwei Sachen sind klar: Wir sind die Ersten, die da mit Rädern durch sind. Und: Prag ist mal wieder ein klein wenig großartiger geworden.

VIDEO: Night-Ride in Prag

Fotos / Zeichnungen => Bajkazyl

Wie gefährlich ist Radfahren in Berlin?

Wenn mensch die Zeitungen liest oder sich in verschiedensten Foren im Internet informiert, beschleicht mensch das Gefühl das Radfahren verdammt gefährlich sei. So starben 2013 in Berlin neun Fahrradfahrer*innen bei Unfällen. 2012 gab es noch 15 getötete Fahrradfahrer*innen. Die Ursachen der Unfälle sind vielfältig und reichen von Unachtsamkeit oder falsches Verhalten von PWK- bzw. LKW-Führer*innen, gefährlicher Radverkehrsführung bis hin zu Fehlverhalten von Radfahrer*innen. Unabhängig der Schuldfrage ist jede/r Tote/r ein Schicksal mit einem tiefgreifenden Einschnitt in das Leben der Angehörigen.
Aber muss Angesicht der Meldungen, die uns auch dieses Jahr schon zahlreich erreicht haben, Sorgen um sein eigenes Leben machen, wenn er/sie sich auf den Sattel schwingen um durch die Stadt zu radeln? Dabei ist es egal ob wir uns privat auf dem Weg zur Arbeit, zu Freunden oder zur Arbeit machen oder als Fahrradkurier*in, die/der mit seine/r Leidenschaft für’s Radfahren seinen Lebensunterhalt verdient? Die Statistik besagt eher das Gegenteil. Die Chauffeure der Blechdosen mit denen wir uns die Verkehrsflächen der Stadt teilen leben erheblich gefährlicher. Weiterlesen

Radfahren auf der Fahrbahn erlaubt.

RADFAHREN AUF DER FAHRBAHN ERLAUBT.
RADWEGEBENUTZUNGSPFLICHT AUFGEHOBEN.

In Hamburg-Lurup gibt es ein Pilotprojekt zur Information der PKW- und LKW-Lenker zur Nutzung des Strassenraums. Es wird mit neuen Schildern darauf hingewiesen, dass Radfahrer*innen – schon längst (seit 1. September 1997) – auf der Straße fahren dürfen. Der ADFC-Hamburg kommentiert den Versuch positiv.

Hier geht’s zum Beitrag des NDR: —>>