Category Archives: Gastbeitrag

Der Blick auf den Verkehr ist (zu) männlich

Ein Gastbeitrag von Katja Leyendecker zum Frauentag

If you want to know if an urban environment supports cycling, you can forget about all the detailed ‚bike ability indexes‘ – just measure the proportion of cyclists who are female.  Jan Garrard, Scientific American, 2009

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Von niederländischen und dänischen Städten abgesehen, legen Frauen weniger Wege als Männer mit dem Rad zurück: In Berlin beträgt das Verhältnis 2:3 (1), so wie in den meisten großen und mittelgroßen deutschen Städten. Unter ihnen gibt es nur eine Ausnahme: Bremen. Hier beträgt das Verhältnis ungefähr 1:1.

Warum ist das so? Radfahren ist von der vorhandenen Infrastruktur abhängig, und diese hat Einfluss nicht nur auf die tatsächliche Gefährdungslage, sondern auch auf das subjektive Sicherheitsempfinden. Wird dieses als hoch eingeschätzt und ist das Fahren nicht komfortabel, gehen nicht motorisierte Frauen eher zu Fuß oder benutzen den ÖPNV als Rad zu fahren. Read Full Post…

„Aktive Mobilität macht Städte anziehend“

Philippe Crist, Mobilitätsvordenker der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD, wirft einen neuen Blick auf das Zufußgehen und Radfahren. Sein neues Paradigma nennt er aktive Mobilität. Das klingt nicht nur besser als nichtmotorisierter Verkehr, sondern führt auch weg von reinen Umweltargumenten und Verzichtsappellen. Für eine wirkliche Verkehrswende brauche es attraktive Lebensstile, um die Menschen zu motivieren, sagt Christ im Interview. Ein Gastbeitrag. 

BildHerr Crist, der Begriff Aktive Mobilität soll Zufußgehen und Fahrradfahren in ein neues Licht rücken. Wie hat sich der Blick darauf in den vergangenen Jahren verändert?

Aktive Mobilität hat Eingang gefunden in politische Debatten sowohl über Verkehr als auch über Stadtentwicklung. Das ist sehr hoch einzuschätzen. Das Wichtigste dabei ist, dass viele Menschen, auch viele Entscheidungsträger, jetzt über die einfachen Entweder-oder-Lösungen hinausblicken, wenn es um Zufußgehen und Fahrradfahren geht.

Diese Verkehrsmittel wurden vielfach nur als Hindernis angesehen und die Straßen in unseren Städten auf ihre reine Transportfunktion reduziert. Das war ein historischer Fehler. Wenn die Straßen voller Fahrzeuge sind, leidet unser Körper genauso wie unsere Psyche. Lebendige Straßen tragen zu einem gesunden städtischen Leben bei. Die Tatsache, dass viele Städte dieses Potenzial nunmehr ausdrücklich erkennen, ist eine der wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre.
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Wo Erwachsene Radfahren lernen

Wie Radfahren funktioniert? Darüber machen sich die wenigsten von uns Gedanken. Auf zwei Rädern die Balance halten – eine Selbstverständlichkeit. Sich zum Linksabbiegen einfädeln – kein Problem. Schulterblick – ein Automatismus. Doch viele Erwachsene können nicht oder nicht richtig radeln. Weil sie es nie gelernt haben. Weil sie die Verkehrsregeln nicht kennen. Weil sie sich nach einem Unfall nicht mehr auf den Sattel trauen. In Berlin gibt es verschiedene Angebote, um das Radfahren als Erwachsener zu lernen oder seine Kenntnisse zu vertiefen. Ein Gastbeitrag von CLAUDIA LIPPERT (aus „radzeit“, dem Fahrradmagazin des ADFC für Berlin und Brandenburg, 2/2017)

Radfahren für erwachsene Anfänger | Outdoor

Die Handknöchel sind weiß vor Anstrengung. Mit beiden Händen hält Monika den Lenker des kleinen Rollers fest umklammert. Nur zaghaft rollt sie ein paar Meter geradeaus, wagt kaum, nach der Handbremse zu greifen. Nach zehn Minuten gibt sie schon kräftiger Schwung, steuert das Gefährt mutig in eine weite Rechtskurve. „Seit meiner Kindheit bin ich nicht mehr Rad gefahren“, erzählt die 50-Jährige. „In der Stadt bietet sich das nicht an.“

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Gastbeitrag: die mitRADgelegenheit in Belgrad und Novi Sad

Florian Keiper war mit der mitRADgelegenheit in Belgrad und Novi Sad unterwegs. Ein Bericht von sieben Tagen Serbien im Fahrradsattel

Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, mit ein paar FreundInnen auf dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren? Ja? Aber könnt ihr euch auch vorstellen, dabei keine anderen Menschen auf Fahrrädern zu treffen? Jetzt wird es schon schwieriger.

Wir durften dies Ende November 2014 in Belgrad, der Hauptstadt von Serbien, erleben. Und ich kann euch sagen, es ist ein komisches Gefühl, aber irgendwie auch cool, weil wir uns wie eine Gang vorkamen. Aber fangen wir mal von vorne an. Wie kamen wir überhaupt nach Belgrad, und warum? Die mitRADgelegenheit hatte einen Austausch mit Gruppen und Initiativen in Serbien organisiert.

Die ersten Tage waren wir in Belgrad unterwegs. Die Veranstalter des Beograd Velograd Festivals hatten uns Fahrräder zum Erkunden der Stadt zur Verfügung gestellt. Allzu viel konnten wir gar nicht durch die City cruisen, da wir uns mit vielen Fahrradgruppen trafen.

Zum Beispiel mit den Leuten von Ulice Za Bicikliste: Zusammen haben wir eine Fahrradrampe gebaut und die Critical Mass vorbereitet. Mit den Leuten von Bajsologija und der Heinrich-Böll-Stiftung waren wir in einer Roma-Siedlung, um bei einem Workshop für Lastenräder zu helfen.

Culture Exchange Cafe
Culture Exchange Cafe

Auch in Novi Sad hatten wir volles Programm und eine sehr gute Zeit. Einziger Unterschied war, dass im Gegensatz zu Belgrad hier viele Menschen im Alltag auf dem Fahrrad unterwegs sind. Unsere zentrale Anlaufstelle in Novi Sad war die Bike Kitchen von Cultural Exchange. Ein Café mit Bike Kitchen ist schon eine ziemlich geniale Kombination. Unbedingt sollte hier auch noch die Novi Sad Cycling Initiative erwähnt werden. Die Leute haben uns großartig aufgenommen, uns ins Radio gebracht, sind mit uns Critical Mass gefahren und ganz wichtig: haben mit uns Bike Polo gespielt.

CM-Belgrad
Die Critical Mass in Belgrad

Bevor es zurück nach Berlin ging, sind wir noch mal für einen Tag nach Belgrad, um auch dort an der Critical Mass teilzunehmen. Von der Critical Mass ging es direkt zur CM-Feier und dann in Beststimmung weiter zum Bahnhof. 24 Stunden später waren wir zurück in Berlin.

Die sieben Tage in Serbien waren viel schneller vorbei als gedacht, und wir hoffen, dass wir unsere FreundInnen aus Belgrad und Novi Sad bald wieder treffen werden.

Gastbeitrag: Psychologie des Pkw-Fahrens

Am 26. November 2014 erschien in der Online-Ausgabe des Londoner Wochenblatts „The Telegraph“ ein Erfahrungsbericht des pendelnden Radfahrers Hugh Morris. Darin fragt er sich, weshalb Radfahrer bei anderen Straßennutzern, insbesondere Car-Usern, solche Aggressionen auslösen, dass sie diese nicht nur verbal attackieren, sondern ihre Fahrzeuge sogar als Waffen gegen sie einsetzen.

Arne Ludorff hat nach dem Lesen des Beitrags eine Psychologie des Automobilisten entworfen – Versuch einer Antwort in sechs Thesen.

1. Der abgeschlossene Raum eines Pkw schafft eine eigene Realität

Oben, unten, vorne, hinten, links und rechts ist Blech, der Pkw ist ein abgeschlossener Raum. Das schafft Distanz. Die Wahrnehmung der Welt da draußen passiert durch die Windschutzscheibe. Wie im Kino oder Fernsehen: Das, was hinter der Mattscheibe, hinter der Windschutzscheibe geschieht, geschieht nur mittelbar.

Die Wirklichkeit außerhalb des Pkw wird zum Strang an Eindrücken, der von einem Strang bloßen Erzählens nicht zu unterscheiden ist. Draußen regnet es, aber man selbst sitzt im Trockenen; die Scheibe schützt vor dem rauen Wind. Während aber im Kino die Grenze zwischen Erzählung und Wirklichkeit verschwimmt, wird beim PKW-Fahren die Wirklichkeit hinter der Windschutzscheibe zu einem Nebensatz verkürzt, der nicht mehr berührt. Die Ampel schaltet auf Rot – schnell noch Gas geben und rüber. Die Frau mit Kinderwagen – muss sehen, wo sie bleibt, ist auch schon weg, nur noch eine Ahnung im Rückspiegel. Dann, beim Rechtsabbiegen, ein verdammter Radfahrer, was macht der auch auf der Straße – Game over.

2. Die Wahrnehmung der Außenwelt ist eingeschränkt

Wer in der Fahrgastzelle sitzt, bekommt weniger mit als der, der seine Nase im Wind hat. Das Sichtfeld ist durch A-, B- und C-Säule eingeschränkt, und auch durch die Kopfstützen. Der Schulterblick wird ab einem  gewissen Alter schwierig. Geräusche werden gedämpft; andere Verkehrsteilnehmer sind nicht zu hören, es sei denn, sie machen sich durch Hupen bemerkbar. Riechen, auch das kann Informationen bspw. übers Wetter oder den Zustand der Straße geben, fällt aus. Ergomotorik, na ja, ein bisschen durch die Fliehkräfte in den Kurven und beim Beschleunigen/Bremsen; ansonsten sitzt man im Pkw gut gefedert. Um die Sinne nicht zu unterfordern, schaltet man das Radio ein. Oder telefoniert.

3. Die Windschutzscheibe als venezianischer Spiegel

Der venezianische Spiegel ist halb durchlässig: Er lässt den Blick in eine Richtung passieren, in der anderen ist man vor Blicken geschützt. Das Innere des Pkw ist für die Außenwelt fast nicht einsehbar. Blickkontakt, Handzeichen, jede Form von Kommunikation wird damit erschwert. Nur nicht die mit sich selbst. Der Pkw wird zum Beschleuniger der eigenen Psyche. In ihm lässt sich großartig fluchen und schimpfen, aller Frust, der sich in der Seele angesammelt hat, kann endlich raus.

Will man aber, aus dem Inneren des Pkw, doch etwas nach außen mitteilen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Hand auf die Hupe und/oder Fuß aufs Gaspedal.

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Gastbeitrag: Frust und Freuden

Mit Wohnmobil und Rad in Belgien und den Niederlanden unterwegs – ein Bericht aus Bewegungssicht von Nico Jungel


Umgebauter Krankenwagen, zwei Fahrräder hintendrauf. Los geht’s in Berlin, Ziel ist Boom in Belgien, ein Vorort der Stadt Antwerpen. Aber erst mal German Autobahn, mit 120 km/h rauscht der effizient genutzte Wagen, blablacar-Mitfahrer und sowieso zu siebt im Carsharing, in noch flachere und wesentlich windigere Gefilde.

Von Boom dann mit geliehenem Kleinwagen rein nach Brüssel. Der Brüsseler Verkehr erinnert an den europäischen Verwaltungsapparat: dicht und langsam. Und lückenlos. In Brüssel fährt man nicht Auto, man bewegt es von Zeit zu Zeit. Ein auffällig angezogenes Paar konnten wir nach einer Strecke von ca. fünf Kilometern wieder an unserem Auto vorbeilaufend, nein, -schlendernd!, ausfindig machen. Wir brauchen eine Stunde vom Stadtrand, bis das Auto geparkt ist.

Fahrradfahrer? Fehlanzeige. Hier und da mal wer in Signalmontur. Ein paar Tage später sitzen wir selbst auf dem Rad, und uns wird schnell klar, warum wir so ziemlich die Einzigen sind. Fahrradwege sind kaum vorhanden, zwischen und neben den Autos kommt man kaum durch, da diese selbst schon jeden halben Meter nutzen. In der Hackordnung stehen wir eindeutig unten. Dass das gesamte Stadtgebiet eigentlich Parkzone ist und somit nur Anwohnern und gebührenunempfindlichen Personen vorbehalten, bringt nichts. Es lärmt und hupt und macht überhaupt keinen Spaß, von der Stadt nehmen wir nur etwas wahr, wenn wir anhalten.

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